28.04.2022
„Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Das bekannte Gebet des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr beschreibt die wohl wirkungsvollste Formel für mehr Gelassenheit. Schon die Stoiker im antiken Griechenland erhoben sie vor zweitausend Jahren zu ihrem Lebensprinzip. Wenn wir akzeptieren können, was nicht in unserer Macht liegt, macht dies gelassene Menschen aus uns. Es erspart uns Wut, Ärger und Frustration und hilft uns, allen Widrigkeiten, Hindernissen und Fehlschlägen wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung zu widerstehen.
Die Grafik unten verdeutlicht, was wir im gegenwärtigen Moment kontrollieren können, was wir beeinflussen können und was außerhalb unseres Einflusses liegt. Innerhalb unserer Fähigkeiten und Kenntnisse können wir nur unser bewusstes Denken und Handeln kontrollieren. Und auch das nur eingeschränkt, denn unsere Willenskraft ist begrenzt. Bedürfnisse, Triebe, Hormone und vieles mehr machen es uns oft schwer, Vorsätze einzuhalten oder neue Gewohnheiten anzunehmen. Das Denken und Handeln anderer können wir kurzfristig allenfalls beeinflussen, indem wir sie dazu bringen, Vorhersehbares zu tun. Bitte ich jemanden, mir einen Dienst zu erweisen, der zu seinem Job gehört, wird er es wahrscheinlich tun. Ansonsten ist das Denken und Handeln anderer im gegenwärtigen Moment für uns genauso gegeben wie unser Arbeitsplatz, unsere Gene oder unsere Vergangenheit.
Diese Erkenntnis hat etwas Befreiendes. Wir brauchen uns für nichts verantwortlich zu fühlen, das außerhalb unserer Kontrolle liegt. Behandelt uns jemand herablassend oder macht er uns Vorwürfe, die wir als ungerecht empfinden, dann können wir das hinnehmen wie ein Naturereignis. Sein Verhalten gibt uns lediglich Hinweise auf seine Sicht der Dinge und seine Persönlichkeit.
Zu Beginn meiner Berufslaufbahn arbeitete ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Der Sachverständigenrat, dem bei voller Besetzung fünf Professoren angehören, gibt jedes Jahr ein Jahresgutachten heraus, das der Ratsvorsitzende traditionell auf einer Pressekonferenz der Bundeskanzlerin oder dem Bundeskanzler überreicht. Einem Kollegen im Stab unterlief bei den Arbeiten am Gutachten ein Versehen: Bei der Berechnung des staatlichen Budgetdefizits übersah er, dass aufgrund eines Fehlers im Rechentableau die Kommunen nicht berücksichtigt wurden. Die Pressefassung des Gutachtens war bereits gedruckt, als dies einem der Professoren auffiel. Ein GAU mit potenziell unangenehmen Folgen. Dennoch bekam niemand deswegen einen Tobsuchtsanfall. Die Räte erörterten sachlich, was zu tun sei, und einer der Professoren setzte sich über das Wochenende mit dem Kollegen zusammen und korrigierte den Fehler. Die Pressefassung wurde neu gedruckt und damit war die Angelegenheit erledigt. Allen Beteiligten war dies eine Lehre.
Eine gänzlich andere Reaktion erfuhr ich, als ich auf meiner zweiten Stelle in einer Pressemitteilung versehentlich eine falsche Zahl eingefügt hatte. Ich bekam den Entwurf von meinem Chef per Postumlauf zurück, die Zahl war rot umkringelt und vom Rand schrie mich in roten Lettern das Unwort "Fehler!!!!!" an. Als ich ihm die korrigierte Fassung übergab, machte er mir noch einmal eindringlich klar, dass Fehler zum Schlimmsten gehörten, das passieren könne, und um jeden Preis zu vermeiden seien.
Damals nahm ich mir seine Strafpredigt zu Herzen. Heute sehe ich den Vorfall gelassener. Die Beispiele zeigen: Menschen können so oder so auf ein Ereignis reagieren. Für welche Reaktion sich jemand anderes entscheidet, liegt nicht in unserer Macht. Es ist nur Ausdruck seiner Sicht der Dinge und gibt mir Hinweise auf seine Absichten, seine Persönlichkeit oder den Maßstab, an dem er selbst sich gemessen sieht. Ich kann auch keinen Fehler mehr rückgängig machen. Deshalb lohnt es nicht, sich darüber zu grämen. Mir obliegt nur, meine Reaktion darauf zu wählen und mich zu fragen, ob ich künftig etwas besser machen kann.
Dazu noch eine Denkanregung, wie konstruktive Kritik oder Selbstkritik in einem solchem Fall aussehen könnte: Als ich wenig später noch einmal einen Fehler machte, sagte mein Chef: Deine Texte würden viel besser ankommen, wenn du sorgfältiger arbeiten würdest. Welche Form der Kritik mag motivierender auf mich gewirkt haben und einem guten Arbeitsklima zuträglicher gewesen sein?
Auch längerfristig können wir nur unser eigenes Denken und Handeln kontrollieren. Allerdings gibt es vieles, was wir mit der Zeit beeinflussen können, wie die zweite Grafik unten verdeutlicht. Auf das Denken und Handeln anderer können wir zumindest einwirken. Wir können unseren Arbeitsplatz wechseln und für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden sorgen. Nur die Vergangenheit ist für alle Zeit unveränderlich.
Mehr Zufriedenheit erlangen wir, wenn wir alles, was wir nicht beeinflussen können, entweder mit Freude, Wertschätzung und Dankbarkeit betrachten oder stoisch akzeptieren. Es verdirbt uns nur die Stimmung, wenn wir über Vergangenes grübeln, uns mit Selbstvorwürfen plagen oder Groll mit uns herumtragen. Soll Geschehenes oder Gesagtes unsere Zufriedenheit nähren, müssen wir mit guten Gefühlen daran zurückdenken oder daraus lernen. Dies wird uns zwar niemals vollständig gelingen. Selbst den Großmeistern im stoischen Denken, den antiken Stoikern, verdarben Ärger und Selbstvorwürfe immer wieder die Laune. Aber mit Achtsamkeit und Übung können unsere negativen Gedanken reduzieren und sie durch positive und nützliche ersetzen. Das ist ein lohnenswertes Ziel, denn je mehr unsere Gedanken um Negatives kreisen, umso mehr prägt dies unsere Persönlichkeit. Den Menschen lenkt, was er denkt.
Wollen wir gelassener werden, hilft es, aufkommenden Ärger zu akzeptieren, seine Ursache zu hinterfragen und uns zu überlegen, ob wir für die Zukunft etwas besser machen können. Dann sollten wir ihn auf sich beruhen lassen. Kommen negative Gedanken immer wieder hoch, hat es sich bewährt, innerlich „Stopp!“ zu sagen, dreimal achtsam tief zu atmen und die Gedanken auf etwas lenken, das uns weiter bringt oder erfreut. Wir können das wiederholte Aufkeimen des Ärgers gelassen wahrnehmen und unser Denken dann etwas Nützlichem oder Angenehmem zuwenden. Mal wird uns dies gut gelingen, mal weniger gut, wir sollten uns dabei nicht unter Druck zu setzen.
Das Umlenken erfordert Willenskraft, denn gerade negative Gedanken können beharrlich sein. Doch es ist wie mit allen Fertigkeiten: Je mehr wir üben, umso besser wird uns dies gelingen.
Achtsamkeitsübungen sind ein gutes Training, unser Denken willentlich auf etwas zu fokussieren. Wir können diese Fähigkeit entwickeln wie ein Fotograf, der immer besser darin wird, den Fokus seiner Kamera auf reizvolle Motive auszurichten und durch den richtigen Blinkwinkel den Dingen etwas abzugewinnen.
Worauf können wir unsere Gedanken grundsätzlich richten, um zufriedener zu werden? Mit Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist dies Positives und Konstruktives:
Wenn wir unser Denken vermehrt auf Positives und Konstruktives, auf Lösungen und Chancen lenken, wird dies auch unsere Arbeitszufriedenheit erhöhen.