Es lebe die Soziale Marktwirtschaft - oder ist Sozialismus die bessere Alternative?

Soziale Marktwirtschaft versus Sozialismus - ein empirischer Vergleich

15.01.2022

Die Debatte über Arm und Reich in Deutschland sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Soziale Marktwirtschaft uns nie gekannten Wohlstand beschert hat. Aber zweifellos  gibt es Vieles zu verbessern. Eine der größte Herausforderungen besteht darin, den Wohlstand der Menschen umwelt- und klimaverträglich zu steigern. Denn nur so können wir nach derzeitigem Wissen hoffen, dass alle 8 Milliarden Menschen auf der Erde den hohen Lebensstandard der Industrieländer erreichen, ohne dass die Menschheit ihre Lebensgrundlagen weitgehend zerstört.

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70 Jahre Soziale Marktwirtschaft: ein Grund zum Feiern, einiger Anlass für Reformen
Fokus-Nr.-262-August-2019-Soziale-Marktw
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Diesen und andere Diskussionsbeiträge und Studien zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen sind verfügbar unter: Volkswirtschaftliche Forschungsergebnisse KfW Research

Keine andere Erfindung brachte Menschen so viel Wohlstand wie die Soziale Marktwirtschaft

"Hungersnot, Pest und Krieg sind die drei berüchtigsten Bestandteile dieser niedrigen Welt" schrieb Voltaire in seiner philosophischen Satire Candide oder der Optimismus im Jahr 1759. Er drückte damit in Worten aus, was Pieter Bruegel der Ältere 200 Jahre zuvor mit seinem Gemälde  Triumph des Todes ebenso eindrucksvoll wie erschreckend auf Eichenholz  in Bildern darstellte. Zu unserem Glück hat sich seitdem vieles verbessert. Dank der Erfindung der Sozialen Marktwirtschaft hat sich der Wohlstand in Deutschland ebenso wie in Frankreich und anderen Industrieländern in den letzten 200 Jahren  mehr als verzehnfacht. Hungersnöte und Ernährungskrisen, wie sie heute noch in armen Ländern und Kriegs- und Krisengebieten wie dem Jemen und Zentralafrika vorkommen, gehören bei uns der Vergangenheit an. Das ist ein riesiger Fortschritt. Wir sind reich genug, um zu helfen - auch mit unserem Knowhow -, damit arme Staaten aus eigener Kraft bitterer Armut ein Ende machen können. 

 

Der Wohlstandsboom setzte erst nach dem zweiten Weltkrieg ein. Er wurde möglich, weil die Demokratien Westeuropas den Jahrtausende währenden Rivalitäten und Kriegen, angefacht von geltungssüchtigen Monarchen, Diktatoren und Nationalisten, ein Ende bereitet haben. Das ist nicht zuletzt das Verdienst der Europäischen Union, die dafür den Friedensnobelpreis erhielt. Bei aller Kritik an bürokratischer Ineffizienz, Bürgerferne und den Streitigkeiten über Geld- und Finanzpolitik, Staatsverschuldung oder die Aufnahme von hilfsbedürftigen Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten sollten wir das nicht vergessen.

Ist Sozialismus die bessere Wahl?

Wikipedia listet für das 20. Jahrhundert 79 sozialistische Staaten auf. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist ihre Zahl auf einige wenige geschrumpft. Einer der Gründe für die weitgehende Abkehr vom Sozialismus liegt darin, dass der Lebensstandard in sozialistischen Staaten durchweg weit geringer ist als in den erfolgreichen Sozialen Marktwirtschaften. Wenn China von den USA und den Staaten der Europäischen Union als ernst zu nehmender wirtschaftlicher Rivale angesehen wird, dann aufgrund der Größe der chinesischen Volkswirtschaft und weil marktwirtschaftlich handelnde chinesische Unternehmen sich an den Weltmärkten erfolgreich behaupten. Die westlichen Demokratien haben mit ihren Sozialen Marktwirtschaften jedoch für die Menschen weit mehr Wohlstand geschaffen als die sozialistische Marktwirtschaft Chinas, die ein Zwitter aus autoritärer Zentralplanwirtschaft und Marktwirtschaft ist.     

Erläuterung: Der Gini-Koeffizient ist ein Maß für Ungleichheit. Er kann Werte zwischen 0 und 100 annehmen.

0 bedeutet völlige Gleichverteilung, 100 maximale Ungleichheit = eine Person hat alles.

Auch die Verheißung von Gleichheit und Gerechtigkeit für alle wurde in den sozialistischen Staaten nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Einkommen in den wenigen verbliebenen sozialistischen Staaten sind nicht nur wesentlich niedriger, sondern auch weit ungleicher verteilt als in den meisten westlichen Industrieländern. Die USA, in denen der Sozialstaat weniger umverteilt als in der Europäischen Union, stellen eine Ausnahme dar. Aber auch dort geht es Geringverdienern wirtschaftlich weit besser als in den sozialistischen Staaten.

Datenquelle Freedom House: Countries and Territories | Freedom House

Sozialistische Staaten neigen dazu, sich mit ihrem staatlichen Zentralismus zu Diktaturen zu entwickeln, die Menschen- und Freiheitsrechte weitgehend unterdrücken. Die DDR, die Sowjetunion und China sind in dieser Hinsicht keine Ausnahmen. Die westlichen Demokratien werden von der Bürgerrechtsorganisation Freedom House, die Staaten auf den Grad an Freiheit für ihre Bürger, untersucht, als politisch frei eingestuft. China, Kuba und Vietnam gehören dagegen zu den unfreien Staaten mit minimalen Freiheitsrechten, und auch Bolivien und Ecuador werden nur als teilweise frei eingestuft.

Datenquelle: Sustainable Development Solutions Network, World Happiness Report 2021 | The World Happiness Report , Data Panel.

Wirtschaftswissenschaftler haben zwei Erkenntnisse über das Glück von Nationen gewonnen: Die Menschen eines Landes sind in der Regel umso zufriedener, je wohlhabender sie sind und je mehr demokratische Freiheit sie genießen. Dementsprechend sind die Menschen in den wirtschaftlich erfolgreichen, demokratisch regierten Sozialen Marktwirtschaften deutlich zufriedener als in den verbliebenen sozialistischen Staaten.

Dank des höheren Wohlstandes haben die Menschen in den Sozialen Marktwirtschaften auch eine höhere Lebenserwartung als in den sozialistischen Staaten. Dies liegt an einem besseren Gesundheitssystem und gesünderen Lebensbedingungen. Der Vorsprung zeigte sich auch in Deutschland nach der Wiedervereinigung. 1989 hatten die Frauen in der DDR eine 3,8 Jahre geringere Lebenserwartung als in der Bundesrepublik. Bei den Männern war die Lebenserwartung um 4,4 Jahre geringer. Seit der Wiedervereinigung hat sich die Lebenserwartung zwischen Ost- und Westdeutschland angeglichen. 

Fazit: Die entwickelten Sozialen Marktwirtschaften waren wirtschaftlich weitaus erfolgreicher als die sozialistischen Staaten. Ihre Bürger leben in Demokratien mit gesicherten Freiheitsrechten, währen in sozialistischen Staaten autoritäre Regierungen die Freiheitsreche stark einschränken.

 Sozialismus ist eine verlockende Utopie, deren Verheißung - Wohlstand und Gleichheit für alle - sich wirtschaftlich wie politisch als Illusion erwiesen hat. Man kann sich auch fragen, ob diese Utopie wirklich erstrebenswert ist. Denn die Menschen sind zum Glück verschieden, und Gleichheit kann auch Ungerechtigkeit bedeuten.

Der Sozialismus hat sich schon in der Theorie als Irrtum erwiesen

Als Marx und Engels ihre Theorien über Kapitalismus und Sozialismus im 19. Jahrhundert veröffentlicht haben, gab es noch keine Soziale Marktwirtschaft mit umfassenden Sozialleistungen. Staatliche Kranken-, Renten- und Unfallversicherungen kamen in Deutschland erst Ende des 19. Jahrhunderts auf. Eine staatliche Arbeitslosenversicherung wurde erst 1927 eingeführt.

 

Die damaligen Sozialisten haben an diesen Errungenschaften maßgeblich mitgewirkt. Ihre Prognosen über den Untergang des Kapitalismus sind jedoch nicht eingetreten. Im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 stellen Marx und Engels Bürgertum und Arbeiterschaft als gegensätzliche Klassen dar. Das Bürgertum sei die besitzende und herrschende Klasse, die alle Arbeiter ausbeute und unter elenden Bedingungen arbeiten und leben lasse.  "Was also der Lohnarbeiter durch seine Tätigkeit sich aneignet, reicht bloß dazu hin, um sein nacktes Leben wieder zu erzeugen", heißt es dort.

 

Seit der Frühphase des Kapitalismus haben sich die Lebensbedingungen und die Arbeitsverhältnisse von Arbeitern und Angestellten jedoch weitgehend gewandelt. Um 1850 mussten Industriearbeiter in Deutschland durchschnittlich 90 Stunden in der Woche arbeiten, darunter auch Kinder. Heute beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit 38 Stunden, und Kinderarbeit ist bei uns verboten. Viele Industriearbeiter verdienen überdurchschnittlich, können Vermögen bilden, Unternehmensanteile erwerben, und jeder kann sich selbständig machen oder Unternehmen gründen. Die Teilung der Gesellschaft in besitzendes Bürgertum und besitzlose Arbeiterklasse macht keinen Sinn mehr. 

 

Die zunehmende Verelendung der Arbeiterschaft, die Marx und Engels voraussagten, ist nicht eingetreten. Ökonomen und demokratisch gewählte Politiker haben den Frühkapitalismus zur Sozialen Marktwirtschaft weiter entwickelt, in der alle Menschen in Wohlstand leben können. Der weitere Glaube an marxistischen Sozialismus und Kommunismus hat den Charakter einer Religion angenommen, und diese ist nach Marx‘ eigenen Worten – das „Opium des Volkes“. Es ist zudem ein Irrglaube, der die Forderung nach einer Diktatur schon ideologisch in sich trägt. Denn nach Marx und Engels muss die Arbeiterschaft mit einer Revolution die Macht ergreifen und "vermittelst despotischer Eingriffe ...  als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse" aufheben. Wenn also sozialistische Staaten von Diktatoren regiert werden, liegt das im sozialistischen Glauben begründet.

Die Soziale Marktwirtschaft ist allerdings weiterhin eine Klassengesellschaft

Man kann die Gesellschaft auch heute noch in Klassen einteilen. Wirtschaftswissenschaftler benutzen dazu bevorzugt Einkommensklassen. Über das Einkommen entscheiden in erster Linie der Bildungsabschluss, die Berufswahl und die berufliche Qualifikation. Das ist nicht immer gerecht, weil zum Beispiel das Elternhaus für die Bildungschancen eine erhebliche Rolle spielt. Aber damit erhält jeder Mensch die Möglichkeit, seine materiellen  Lebensumstände durch eigenes Handeln zu verbessern. Und darin liegt unser Wohlstand begründet.

 

Darüber hinaus gibt es in demokratisch regierten Sozialen Marktwirtschaften keine hierarchischen oder gesetzlichen Klassenunterschiede mehr.  Jeder hat die gleichen Rechte, und unser Steuer- und Sozialwesen sorgt dafür, dass finanziell Stärkere höhere Beiträge in die öffentlichen Kassen einzahlen und dass jeder seine Grundbedürfnisse befriedigen und am Wohlstand teilhaben kann. Das ist eine überaus wertvolle und seltene Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit. Für einen großen Teil der Weltbevölkerung ist sie heute noch keine Realität, obwohl sich weltweit seit der Mitte des 20. Jahrhunderts vieles verbessert hat.

Sollten wir angesichts aller Unvollkommenheiten trotzdem etwas anderes als die Soziale Marktwirtschaft ausprobieren?

Groß angelegte gesellschaftliche Experimente können viel Armut und Leid erzeugen und sind nur schwer und in langen Zeiträumen wieder rückgängig zu machen. Das haben die vielfältigen sozialistischen Experimente gezeigt. Warum also mit dem Feuer spielen?  Die Menschen haben hunderttausende von Jahren gebraucht, um zu dem Wohlstand zu gelangen, in dem wir heute leben. Und die Demokratien Westeuropas leben seit 75 Jahren in Frieden miteinander. Womöglich hat es eine derart lange Friedensphase bei uns seit Jahrtausenden nicht gegeben. Warum das alles aufs Spiel setzen? Ist es nicht klüger, geduldig in kleinen Schritten weiter voranzugehen und das wertzuschätzen, was die Menschheit erreicht hat?

 

Bleibt die Soziale Marktwirtschaft so erfolgreich wie bisher, dann wird sie durch den technischen Fortschritt, den sie erzeugt, womöglich ohnehin eine andere Utopie wahr werden lassen: Dann wird die Menschheit eines Tages über Technologien verfügen, die menschliche Arbeit überflüssig machen. Dann erzeugen Maschinen alles, was die Menschen begehren, und demokratisch gewählte Volksvertreter (oder Maschinen) verteilen alles gleich, sofern die Verteilung von knappen Gütern überhaupt noch notwendig ist. In dieser Gesellschaft werden die Menschen nur noch gemeinnützige Arbeiten verrichten, zu denen sie Lust haben, gänzlich frei.

 

Doch davon sind wir noch weit entfernt. Damit wir einer solchen Gesellschaft näher kommen, müssen wir zum Wohl der Menschen die Digitalisierung, Innovationen und Investitionen voranbringen, geeignete Maschinen und Roboter entwickeln, unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten und Frieden schaffen und bewahren. Mit diesem Vorsatz können wir weiter unseren Wohlstand mehren, vor allem derer, die auf der Welt am Wenigsten haben, die Fortschritte wertschätzen und uns dankbar daran erfreuen.